Der Begriff der Vulnerabilität kommt in den verschiedensten Disziplinen mit leicht unterschiedlichen Definitionen zum Einsatz. In der Informatik wird der Begriff beispielsweise für eine konkrete Schwachstelle in einem System oder Netzwerk verwendet, in der Ökologie als Gegensatz zur Resilienz. Das Wort Vulnerabilität leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet „Verwundbarkeit“ oder „Verletzbarkeit“.
Im Kontext unserer Naturgefahrenanalyse geht es um die Frage der spezifischen Empfindlichkeit eines beliebigen Objektes gegenüber dem Einwirken von Naturgefahren. Wie unterschiedlich empfindlich Objekte sein können, lässt sich am einfachsten an extremen Beispielen zeigen: Wird ein Betriebshof, auf dem Eisenbahnschwellen aus Beton lagern, von einem schweren Hagelsturm getroffen, so passiert… nichts. Trifft der gleiche Hagelsturm auf einen nicht überdachten Parkplatz mit fabrik-neuen PKWs, die für den Weitertransport gelagert werden, so ist der Schaden und der damit verbundene Aufwand enorm.
Vulnerabilitäten sind wichtiger Bestandteil der K.A.R.L.® -Naturgefahrenanalyse
Die Vulnerabilität des Untersuchungsgegenstandes ist ein wichtiger Bestandteil der Risikoanalyse mit K.A.R.L. (Köln.Assekuranz.Risiko.Lösungen). Von der Vulnerabilität ist das Ausmaß des Schadens abhängig, der bei Eintritt eines bestimmten Ereignisses zu erwarten ist.
Die Analyse des Naturgefahren-Risikos mit K.A.R.L. gliedert sich in zwei Bereiche: Die Naturgefahrenmodelle in K.A.R.L. auf der einen Seite liefern eine Einschätzung der Gefährdungslage (z.B. bei einem 100-jährlichen Hochwasserereignis steht das Wasser am Standort einen Meter hoch). Zusammen mit der Vulnerabilität und dem Wert des Standortes auf der anderen Seite ergibt sich das Risiko.
Die Vulnerabilitäten gegenüber den verschiedenen Naturgefahren werden jeweils als Kurve dargestellt. Ein solcher Vulnerabilitäts-Kurvensatz besteht aktuell aus sechs Kurven für die Gefahren Erdbeben, Flut, Tsunami/Sturmflut, Sturm/Tornado und Hagel (Abb. 1). Dabei wird jeweils einer bestimmten Einwirkungsstärke (d.h. Intensität eines Ereignisses) ein anzunehmender prozentualer Schadengrad gegenübergestellt. Im Falle von Vulkanismus tritt die Distanz zum Vulkan an die Stelle der Einwirkungsstärke, da unabhängig vom Typ des betrachteten Vulkans davon ausgegangen werden kann, dass die Schäden mit zunehmender Entfernung zum Vulkan abnehmen.
Vulnerabilitäten können je Naturgefahr und je Untersuchungsgegenstand sehr unterschiedlich sein. Je genauer das Ergebnis werden soll, desto sorgfältiger müssen die Vulnerabilitätskurven definiert werden. Eine einheitliche Vulnerabilität für alle Objekte wäre inhaltlich falsch. Das andere Extrem, also eine eigene Vulnerabilität für jedes Untersuchungsobjekt, die jedes Detail berücksichtigt, ist hingegen nicht praxistauglich. In der Praxis ist es daher sinnvoll, Kategorien (Cluster) ähnlicher Empfindlichkeit zu bilden, für die dann jeweils ein Satz Vulnerabilitätskurven definiert wird.
Details zu Gebäuden
Genau dieses Vorgehen wurde bei der Erstellung der in K.A.R.L. verwendeten Gebäudevulnerabilitäten ange-wandt. In Zusammenarbeit mit dem Verband deutscher Pfandbriefbanken (vdp) wurde eine Einteilung in aktuell zehn Cluster vorgenommen, die von Einfamilienhäusern über Bürogebäude und Shopping-Center bis hin zu unbebauten Grundstücken eine große Vielfalt an Gebäudetypen abdeckt. Für jedes dieser zehn Cluster wurde ein kompletter Satz Vulnerabilitätskurven entwickelt.
Bei der Bestimmung der Vulnerabilitäten eines Gebäudes gegenüber den diversen Naturgefahren nutzen wir im Wesentlichen zwei Methoden, die in der praktischen Anwendung aber auch miteinander kombiniert werden können:
- die Bestimmung der Vulnerabilitäten durch Expertenschätzung
- die Bestimmung durch die Analyse von Schadendaten der Vergangenheit
Bei der Bestimmung der Vulnerabilität durch Expertenschätzung muss man sich zu jeder Naturgefahr die Frage stellen, bei welcher Einwirkungsstärke man welches Schadenausmaß erwarten würde. Dabei hilft zwar die Betrachtung von Einzelfällen, es geht aber nicht um die Berücksichtigung von extremen Einzelfallsituationen, sondern vielmehr um die statistische Erwartung. So wird beispielsweise nicht der Fall betrachtet, in dem eine besonders reißende Flut ein Gebäude komplett unterspült und zum Einsturz bringt, sondern vielmehr der durchschnittliche Fall stehender oder langsam fließender Gewässer.
Die prozentualen Schadensangaben beziehen sich dabei immer auf den Wiederherstellungswert, also den konkret entstandenen Sachschaden.
Als hilfreich hat sich dabei die Beantwortung der folgenden Fragen erwiesen:
- Bei welchem Einwirkungsgrad trifft der erste nennenswerte Schaden ein, also wie lange liegt der Schaden bei 0%?
- Ist ein Schaden von 100% überhaupt denkbar und falls nicht, welcher Maximalschaden kann erreicht werden?
- Gibt es aus Expertensicht eine Meinung darüber wie die Kurve zwischen den beiden Extrempunkten aus der Beantwortung der ersten beiden Fragen verlaufen müsste? Gibt es Beispielfälle, die diese Annahmen stützen?
Ein Beispiel
Schaut man sich beispielsweise ein Bürogebäude aus der Größenkategorie 3-7 Stockwerke an und betrachtet die Einwirkung einer Überschwemmung, so hängt natürlich der Schaden im Wesentlichen von der Wasserhöhe ab:
- Je nach Bauweise gibt es meist eine geringe Höhe (hier als 10 cm festgelegt), bei der das Wasser noch nicht oder nicht nennenswert in das Gebäude ein-dringen kann. Es entstehen keine oder nur sehr geringe Schäden, beispielsweise in Form von notwendigen Reinigungsarbeiten.
- Sobald das Wasser in nennenswerten Mengen in das Gebäude eindringen kann, nimmt das Ausmaß der Schäden dann sukzessive zu (Abb. 2): Bodenbeläge, Putz, elektrische Anlagen, die technische Gebäudeausstattung (TGA) werden zunehmend betroffen und können beschädigt oder zerstört werden.
Die Abschätzung der möglichen Beschädigungen an den verschiedenen Gebäudeteilen und deren Anteil am Wiederherstellungswert des Gebäudes führen dann zu einer vollständigen Vulnerabilitätskurve für Überschwemmung (Abb. 2).
In ähnlicher Weise wird bei der Erstellung der Kurven für die übrigen Naturgefahren vorgegangen.
Der entscheidende Beschädigungsgrad
Es geht nicht bei jeder Risikoanalyse um den Schaden am Objekt selbst. Bei der Erstellung der Vulnerabilitäten ist es daher die Sichtweise des Betrachters ausschlag-gebend. Möchte beispielsweise ein Eigentümer eine Risikoanalyse für sein Gebäude durchführen, sieht er sich einer stetig steigenden Belastung ausgesetzt. Der Eigentümer erleidet schon bei geringer Einwirkung auf das Objekt finanzielle Schäden. Anders sieht es aus, wenn man eine Analyse bzgl. einer möglichen Betriebsunterbrechung durchführen möchte. Hier stellt sich nicht in erster Linie die Frage nach einem Sachschaden, sondern: Ab wann muss eine Produktion eingestellt werden? Der Fokus liegt also auf eher großen Schäden oder möglichen Total-Schäden. Die Vulnerabilitätskurve steigt somit für das gleiche Objekt erst bei einer stärkeren Intensität an.
Fazit
Ein sorgfältig erstellter Vulnerabilitätskurvensatz ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Risikoanalyse. Bei der Erstellung solcher Kurvensätze ist es wichtig, Kategorien bzw. Cluster zu bilden, um die Komplexität beherrschbar zu halten.
Die Trennung der Risikoanalyse in Naturgefahrenanalyse und Vulnerabilitätsbetrachtung sorgt für eine hohe Transparenz der Ergebnisse für den Kunden, der immer nachvollziehen kann, wie sich ein Ergebnis zusammensetzt.
Ihr Gebäude passt in keins unserer Vulnerabilitätscluster? Gerne beraten wir Sie bei der Erstellung Ihrer spezifischen Vulnerabilität und stehen für Ihre Fragen zur Verfügung.