Ein unterschätzter Risikofaktor
Die Naturgefahr Erdbeben ist eine der weltweit am besten erfassten Gefahren. Mittels hochempfindlicher seismischer Stationen lassen sich selbst leichteste Erdbeben erfassen und die Position des Epizentrums bestimmen. Trotzdem ist es unmöglich, eine Vorhersage zu erstellen, wann es wo zum nächsten Beben kommen wird oder auch nur eine Vorwarnung mit ausreichender Vorlaufzeit zu geben.
Wenn die Medien über Erdbeben berichten, dann wird in der Regel die Magnitude des Erdbebens als Maß für die Stärke angegeben. Die Magnitude ist im weitesten Sinne eine Maßzahl für die bei einem Erdbeben in dessen Hypozentrum freigesetzte Energie (Erdbebenstärke). Will man aber Aussagen über Auswirkungen von Erdbeben an einem konkreten Ort, evtl. weit vom Zentrum des Erdbebens entfernt, treffen, so muss man sich die Intensität des Erdbebens ansehen. Die Intensität beschreibt nicht die Stärke eines Erdbebens, sondern seine an der Erdoberfläche fühlbaren bzw. zu beobachtenden Auswirkungen in einer 12- stufigen Skala (Modifizierte Mercalliskala (MMI)) in Form römischer Ziffern. Sie könnte alternativ auch als am Beobachtungsort messbare Bodenbeschleunigung angegeben werden.
Abbildung 1: Intensität eines Erdbebens—abhängig von der Entfernung zum Hypozentrum.
Mit zunehmender Entfernung vom Epizentrum des Erdbebens nimmt die Intensität stark ab. Sie ist darüber hinaus in hohem Maße von der Beschaffenheit des lokalen geologischen Untergrundes abhängig. Weicher, aus feinkörnigen Sedimenten bestehender und zudem noch wassergesättigter Boden kann die lokale Intensität eines Erdbebens signifikant erhöhen. Dies gilt insbesondere für künstlich aufgeschütteten Untergrund.
Eine gute Analogie für diesen Zusammenhang liefert eine 100 Watt Glühlampe – oder nehmen wir im Sinne der sparsamen Energienutzung lieber eine LED gleicher Leuchtkraft! Die 100 Watt sind das Maß für die freigesetzte Energie des Leuchtmittels und entsprechen der Magnitude. Steht man direkt vor dieser Lichtquelle, bekommt man die maximale Intensität zu spüren und wird geblendet. Entfernt man sich weit genug von ihr, wird die Lichtquelle kaum noch erkennbar sein – die Intensität nimmt also auch hier mit zunehmender Entfernung ab.
Abbildung 2: Glühlampe (Symbolbild).
In Deutschland ist die Erdbebengefährdung im globalen Vergleich zwar relativ gering, aber nicht vernachlässigbar. Insbesondere im Rheingebiet und auf der Schwäbischen Alb befinden sich Zonen, in denen schadenverursachende Beben möglich sind. Diese Beben sind in Deutschland allerdings seltene Ereignisse. Zur Verdeutlichung kann man sich die Intensitäten eines Ereignisses, das mit einer 10%igen Wahrscheinlichkeit in 50 Jahren auftritt – auch als 475-jährliches Ereignis bezeichnet – an zwei verschiedenen Orten anschauen:
In Köln würde man für ein solches Ereignis eine Intensität von „VI“ (stark) auf der MMI-Skala erwarten. Die Definition dazu lautet: „Von allen verspürt, viele Menschen sind verängstigt, das Gehen wird schwierig. Leichte Schäden an Gebäuden, Risse und ähnliche Schäden im Putz. Schwere Möbel können sich verschieben, Gegenstände fallen von Regalen und Bilder von den Wänden. Bäume und Büsche schwanken.“ (Modifizierte Mercalli Skala).
Man vermutet, dass in Köln das Römische Prätorium – der damalige Sitz der Stadtverwaltung – zur Zeit der Wende zwischen Antike und Mittelalter durch ein etwas stärkeres Beben zerstört worden ist. Gesichert ist diese Theorie allerdings nicht. Die Reste des Prätoriums kann man immer noch, versteckt unter dem heutigen Rathaus („Spanischer Bau“) besichtigen.
In Kobe (Japan) würde man dagegen für die gleiche Wiederkehrperiode eine „VIII“ (zerstörend) erwarten. Dazu wird folgendes beschrieben: „Das Autofahren wird schwierig. Leichte Schäden an Gebäuden mit guter Bauweise und -art, beträchtliche Schäden an normalen Gebäuden bis zum Teileinsturz. Große Schäden an Gebäuden in unzureichender Bauweise oder mit fehlerhaftem Bauentwurf. Einsturz von Kaminen, Fabrikschornsteinen, Säulen, Denkmälern und Wänden möglich. Schwere Möbel stürzen um. Abbrechen von Ästen, in Brunnen Änderungen des Wasserspiegels möglich, bei nassem Untergrund Risse in steilem Gelände“ (Modifizierte Mercalli Skala).
Abbildung 3: Verschiedene Erdbebenwellen in einem Seismogramm.
Angesichts solcher Schadenspotenziale stellt sich die Frage nach Vorwarnung vor oder gar Vorhersage von Erdbeben. Schon seit 2007 betreibt Japan ein Frühwarnsystem, das sich die Tatsache zunutze macht, dass sich die sogenannten Primärwellen schneller ausbreiten als die Sekundär- und die Oberflächenwellen, die für den größten Teil der Schäden verantwortlich sind. Allerdings kommt man hier in Abhängigkeit von der Entfernung zum Epizentrum des Bebens lediglich auf Vorwarnzeiten von einigen Sekunden bis wenige zehn Sekunden. In günstigen Fällen kann dies jedoch ausreichen, um Maßnahmen einzuleiten, die dazu dienen, das Schadensrisiko zu mindern: Züge werden gebremst, Busse und Autos können anhalten, Gasleitungen geschlossen werden.
Aber ist auch eine Vorhersage oder Vorwarnung mit einer höheren Vorlaufzeit als nur Sekunden möglich?
Immer wieder sind auffälliges Verhalten von Tieren, Auftreten von Irrlichtern und ähnliche Phänomene in Einzelfällen kurz vor einem Erdbeben beschrieben worden.
Abbildung 4: Tiere auf der Flucht (Symbolbild).
So beobachtete eine englische Zoologin im April 2009 Kröten in den Abruzzen und obwohl die Tiere sich normalerweise im Frühjahr bei Vollmond paaren, verschwanden sie genau zu dieser Zeit aus ihrem Brutgebiet. Kurz darauf bebte die Erde. Am selben Abend waren die Kröten zurück.
Die Trefferquote lag allerdings bei 50 % und ist damit nicht statistisch signifikant. Man hätte genauso gut eine Münze werfen können.
Seit einigen Jahren versucht ein Projekt namens Icarus (Internationale Kooperation zur Erforschung von Tieren mithilfe des Weltraums / International Cooperation for Animal Research Using Space) am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz diese Trefferquote zu erhöhen oder zumindest die Frage zu beantworten, ob sich seltsames Verhalten von Tieren jemals als Mittel der kurzfristigen Erdbebenvorhersage nutzen lassen könnte (Quelle: https://www.icarus.mpg.de/13789/fruehwarnsystem-der-tiere).
Dabei statten die Forscher Tiere in Erdbebenregionen mit Beschleunigungssensoren an einem Halsband aus und zeichnen deren Bewegungen über Monate hinweg mittels Satelliten-Technik auf. Dabei zeigt sich, dass je näher die Tiere dem Epizentrum eines bevorstehenden Bebens waren, desto früher verhielten sie sich auffällig. Die Bewegungsprofile verschiedener Tierarten in unterschiedlichen Regionen könnten also möglicherweise Hinweise auf Ort und Zeitpunkt eines bevorstehenden Erdbebens liefern.
Bevor diese Daten für ein Frühwarnsystem genutzt werden können, muss die Datenlage verbessert werden: Mehr Katastrophenereignisse, mehr Tier-Arten müssen analysiert werden, um zu erfahren, welche Tiere auf welche Ereignisse reagieren und wie verlässlich diese Reaktionen mit dem jeweiligen Naturereignis in Verbindung gebracht werden kann. Auch dann bleibt es eine Herausforderung, zu jeder Zeit in jeder Erdbeben-Zone der Erde eine Gruppe von „Messtieren“ zu haben, die mit Sensoren versehen und unter ständiger Beobachtung sind.
Bis es so weit ist, bleibt die Erkenntnis: Nach heutigem Stand von Wissenschaft und Technik gibt es keine verlässliche Methode zur Erdbebenvorhersage.
Zum Abschluss bleibt noch das Konzept der seismischen Lücke. Das sind Gebiete an Rändern von tektonischen Platten mit immer wieder auftretenden starken Erdbeben, in denen aber seit dem letzten Ereignis über längere Zeiten keine weiteren Erdbeben vergleichbarer Stärke aufgetreten sind. Mittelt man die Verschiebung zwischen zwei tektonischen Platten über sehr lange Zeiten, so ist diese nahezu konstant. Daher nimmt man an, dass seismische Lücken die Orte künftiger starker Erdbeben anzeigen.
Abbildung 5: Illustration des Konzepts der „seismischen Lücke“
Mit dieser Annahme ergibt sich ein „Soll-Wert“, der die erwartete Freisetzung seismischer Energie bei gleichmäßiger Verschiebung der Platten angibt – gewissermaßen so, wie ein Stromzähler. Der Ist-Wert bezeichnet dann die tatsächlich gemessene Energiefreisetzung durch Erdbeben verschiedener Magnitude als Summe der im Laufe der Zeit freigesetzten seismischen Energie.
Schaut man sich als Beispiel die Energiefreisetzung an der japanischen Küste um Fukushima im Jahr 2011 an, so stellt man fest, dass zwischen den Soll- und Ist-Werten der Energiefreisetzung durch Erdbeben im Jahr 2011 eine Lücke (GAP) bestand, die für ein Erdbeben einer Magnitude von deutlich über 8,5 ausgereicht hätte. Am 11.3.2011 wurde die Energiebilanz bekanntermaßen mehr als ausgeglichen. Mit den Folgen des Bebens der Magnitude 9,1 und des dadurch ausgelösten Tsunamis hat Japan heute noch zu kämpfen.
Dieses Konzept ist eine Möglichkeit für die langfristige Erdbebenvorhersage. Allerdings „Vorhersage“ in dem Sinne, dass die Energiebilanz zeigt, dass ein Starkbeben mittelfristig (Jahre bis Jahrzehnte in der Zukunft) bevorsteht. Das genaue Datum wird man schuldig bleiben müssen.
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